BIOMETHAN IN DER DEKARBONISIERUNG DES EUROPÄISCHEN ENERGIESEKTORS
Der Green Deal der Europäischen Union sieht ein klimaneutrales Europa in 2050 vor. Eines der zentralen Ziele, die die EU dabei identifiziert hat, ist „Clean Energy“ – die Dekarbonisierung des Energiesektors und der Einsatz von erneuerbaren Energien. Gleichzeitig muss die europäische Energieversorgung gesichert und bezahlbar bleiben. Dabei können erneuerbare Gase wie Biomethan einen erheblichen Beitrag leisten.
Mit Biomethan bereits verfügbare Technologien nutzen
Die Aufbereitung von Biogas zu Biomethan ist eine bewährte Technologie. Bereits heute werden in Europa 22 TWh ins Netz eingespeist; zusätzlich können kurzfristig mehr als 20 TWh aktiviert werden. Damit ist Biomethan deutlich weiter als Wasserstoff und PtG, die noch keine Marktreife erlangt haben. Perspektivisch, so zeigen aktuelle Studien wie zum Beispiel Navigant für das Gas for Climate Consortium aus dem Jahr 2019, kann die europäische Biomethanproduktion sogar auf über 1000 TWh gesteigert werden – zu deutlich günstigeren Konditionen als heute.
Gemeinsam sind wir stark. Klares Bekenntnis zu erneuerbaren Gasen unter Technologie- und Quellenneutralität
Um das Dekarbonisierungspotenzial der erneuerbaren Gase optimal zu nutzen, ist vor allem wichtig, den strategischen Rahmen entsprechend zwei Grundprinzipien zu gestalten, die der Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSOG) in seinem Ten-Year Network Development Plans (TYNDP) Scenario Report 2020 definiert hat: Technologieneutralität, die gleiche Behandlung jeglicher Art von erneuerbaren Gasen, und Quellenneutralität, die Gleichbehandlung aller regionalen Quellen der erneuerbaren Gase.
Biomethan: Brücke zwischen Sektoren, die Arbeitsplätze schafft
Im Sinne einer erfolgreichen Kopplung der Sektoren ist Biomethan der optimale Energieträger, denn es ist flexibel sektorenübergreifend einsetzbar: zur Stromerzeugung, als Kraftstoff, in der Chemieindustrie und im Wärmemarkt. Hinzu kommt, dass die Herstellung von Biomethan, die hauptsächlich in der Landwirtschaft angesiedelt ist, Arbeitsplätze in ländlichen Regionen nachhaltig sichert. Mit bis zu 600.000 direkten Jobs in der Wertschöpfungskette stärkt die Biomethanerzeugung strukturschwache Regionen, wie die Navigant Gas-for-Climate-Zusatzstudie zeigt.
Biomethan + CCS ermöglicht 150 Mio. t Negativemissionen
Insbesondere aber mit dem Ziel der aktiven Dekarbonisierung der Atmosphäre vor Augen sind in Verbindung mit Carbon Capture and Storage (CCS) mit Biomethan über 150 Mio. t an Negativemissionen allein in der EU möglich. Damit ist Biomethan ein unverzichtbarer Teil der Lösung für eine dekarbonisierte Energieversorgung über 2050 hinaus.
Horizontale Grundprinzipien
Level Playing Field: Technologie- & Quellenneutralität als übergeordnetes strategisches Ziel definieren
Technologie- und Quellenneutralität für alle erneuerbaren Gase sollte in sämtlichen Strategie- und Grundsatzpapieren sowie Regulierungsrahmen, Anreizsystemen und in der Gestaltung der neuen Gasnetze oberste Priorität haben.
Gleichbehandlung erneuerbarer Energieträger
Nachfrage- oder Steuerförderungen müssen für alle erneuerbaren Energieträger gleichermaßen offen sein. Jegliche Quotensysteme (Kraftstoff oder Wärmebereich) muss erneuerbare Energieträger gleich behandeln und gleichzeitig gegenüber fossilem Erdgas Vorrang genießen. Auch die Befreiung erneuerbarer Gase von Maut- oder CO2-Abgaben muss ermöglicht werden.
Handlungsempfehlungen für die Decarbonisation Policy
KURZFRISTIGE MAßNAHMEN
1. Rechtliche und administrative Hindernisse für alle erneuerbaren Gase abbauen
Im Sinne eines Level Playing Fields ist es zwingend erforderlich, die Hürden des grenzüberschreitenden Handels abzuschaffen. So bestehen in der deutschen Zollpraxis – trotz eines EuGH-Urteils aus 2017 – beispielsweise Importbeschränkungen, die nicht nur die aktuellen Biomethanflüsse, sondern auch die zukünftigen PtG- und Wasserstoffflüsse gefährden. Auch die Importbeschränkungen in den Niederlanden und Italien müssen wegfallen.
MITTELFRISTIGE MAßNAHMEN
2. Verpflichtende Fermentation für Bioabfälle und Gülle
In der Abfallbehandlung muss Fermentation vor der Verbrennung stehen. Darüber hinaus muss die Fermentation von Gülle als zwingend erforderlich eingeführt werden. Nur mit einer Vergärungspflicht für Gülle und Bioabfall lassen sich die technischen Potenziale wirtschaftlich günstig und zeitnah heben.
LANGFRISTIGE MAßNAHMEN
1. Gasinfrastruktur zukunftsfähig machen und auf erneuerbare Gase anpassen
Ein zukunftsfähiges Gasnetz muss dabei zum einen offen für die Einspeisung aller Gase, vor allem aber optimiert für die Einspeisung erneuerbarer Gase sein – und zwar entsprechend der oben angeführten Grundprinzipien der Technologie- und Quellenneutralität. Fossiles Erdgas enthält Ethan, Butan und Propan und hat damit einen hohen Brennwert. Das reduziert die Möglichkeit, synthetische Gase, Biomethan und Wasserstoff beizumischen. Das muss geändert und der Gasstandard neu definiert werden. All die folgenden Optionen sind technisch umsetzbar und sollten bei Investitionsplanungen gleichermaßen berücksichtigt werden, um Lock-in-Effekte zu vermeiden.
Option 1: Umstellung des Gasnetzes auf einen neuen Erdgas-Biomethan-PtG-Wasserstoff-Mix
Niedrigere Brennwerte ermöglichen die Beimischung mehrerer erneuerbarer Optionen. Ein Wert von rund 10 kWh wäre ein sinnvoller Start, um Biogas, Wasserstoff oder Biomethan zu geringeren Kosten beizumischen. Das wäre ein erster Schritt in Richtung eines Netzes für ausschließlich erneuerbare Gase.
Option 2: Etablierung von gänzlich neuen Netzen
Bei der Überlegung eines gänzlich neuen Wasserstoffnetzes muss europäisch gedacht werden. Insbesondere mit Blick auf Grenzübertritte sind europäische Lösungen und Anordnungen durch die EU-Kommission gefragt. Ein neues Gasnetz zu errichten ist jedoch mit hohen Kosten verbunden.
Option 3: Gänzliche Umwidmung des Netzes auf erneuerbare Gase
Perspektivisch muss eine gänzliche Umwidmung (z.B. für den Transport von Wasserstoff, Biogas oder CO2) geprüft werden, wenn bestimmte Teile der bestehenden Gasinfrastruktur nicht länger für den Transport von Erdgas benötigt werden. Dazu müssen die entsprechenden Absatzmärkte gefördert und erhalten werden.
Option 4: Anpassung des Erdgasnetzes auf Methan
Bei einer solchen Umwidmung steht der Energieträger Methan unabhängig von der Erzeugungsart im Vordergrund. Dies würde einen Erdgas-Biomethan-PtG-Mix fördern. Erste solcher Projekte gibt es zum Beispiel bereits in Bayern.
Option 5: Regionale Lösungen: Ausbau von regionalen Inselnetzen für Biogas oder direkte Einspeisung von Biogas ins Gasnetz
Vereinzelt gibt es zum Beispiel in Baden-Württemberg regionale Biogasnetze, die von der Erdgasstruktur entkoppelt sind. Hier können aus ländlichen Regionen Biogas zu Kraftwerken in der Stadt transportiert werden. Diese Lösung ist sehr kosteneffektiv, da auf die Aufbereitung des Biogas verzichtet werden kann.
2. Europaweit einheitliche CO2-Preisregelungen einführen
In einigen europäischen Ländern wurde der CO2-Preis bereits eingeführt oder steht kurz davor. Das bietet Chancen für erneuerbare Gase, sich zu etablieren. Dabei ist es jedoch zwingend notwendig, eine europäische Lösung für eine CO2-Bepreisung zu schaffen, um einheitliche Wettbewerbsbedingungen zu garantieren.
3. Bei CCS-Lösungen Vorrang für der Atmosphäre entzogenes CO2 gewähren
CCS wird aktuell hauptsächlich in Verbindung mit fossilen Energieträgern gedacht. Das hält fossile Kraftwerke unnötig länger am Leben. Dabei ist CCS in Verbindung mit Bioenergie (BECCS) oder mit direktem CO2-Entzug aus der Atmophäre (Direct Air Capture, DAC) ein viel effektiveres Mittel zur Dekarbonisierung, da damit Negativemissionen erzeugt werden können, also aktiv CO2 der Atmosphäre gezogen werden kann. Beim Inbetrachtziehen von CCS-Lösungen müssen BECCS und DAC stets Vorrang vor CCS für fossiles CO2 haben.
Bildquelle: Countrypixel / stock.adobe.com
Weiterführende Links
- Navigant im Auftrag des Gas for Climate Consortiums: Gas for Climate. Job creation by scaling up renewable gas in Europe (2019)
- Navigant im Auftrag des Gas for Climate Consortiums: Gas for Climate. Job creation by scaling up renewable gas in Europe (2019)
- ENTSOG: Ten-Year Network Development Plans (TYNDP) Scenario Report 2020
- IPCC-Sonderbericht: 1,5 °C globale Erwärmung: Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger