Klimaneutralität 2050: Integrierte Energiewende als Schlüssel zur Dekarbonisierung
Eine aktuelle Studie zeigt: Biomethan ist einer der wichtigsten Energieträger, um eine integrierte Energiewende voranzubringen und die EU-Klimaziele bis 2050 zu erreichen. Eine erhöhte Nutzung des grünen Gases sichert eine zuverlässige Energieversorgung und kann bis 2050 jährlich 200 Mrd. € einsparen.
Aktuelle EU-Maßnahmen unzureichend für Klimaneutralität 2050
Ohne grüne Gase wie Biomethan läge das Ziel Klimaneutralität noch in weiterer Ferne als 2050 – das unterstreicht die neue Guidehouse-Studie im Auftrag des europäischen Gas-for-Climate-Konsortiums „Gas Decarbonisation Pathways 2020 – 2050“. Die derzeitigen Maßnahmen der EU zum Klimaschutz müssen deutlich verschärft werden, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Den größten Gesamtnutzen für ein zuverlässiges, kosteneffektives europäisches Energiesystem bieten die Kopplung der Strom-, Gas- und Wärmesektoren sowie die Verknüpfung deren Infrastrukturen. Eine große Rolle spielen dabei grüne Gase wie Biomethan und Wasserstoff: Mit einem verstärkten Einsatz dieser Energieträger können gegenüber einem Pfad, der kaum auf Gas setzt, im Jahre 2050 Kosten in Höhe von 200 Mrd. € jährlich gespart werden.
Szenarien für die Dekarbonisierung Erneuerbarer Gase
2019 veröffentlichte das Gas-for-Climate-Konsortium eine Studie, die ein Szenario optimaler Gasnutzung („optimised gas scenario“) skizziert. Unter diesen Annahmen kann der nachhaltige Einsatz von Biomethan und Wasserstoff zu deutlich günstigeren Preisen von heute 20 TWh auf insgesamt 2.900 TWh (Nettoheizwert) erhöht werden. Die nun im April 2020 veröffentlichte Zusatzstudie analysiert drei Dekarbonisierungspfade auf der Nutzungsseite (Gebäude, Industrie, Verkehr, Stromerzeugung). Diese setzen auf den nachhaltigen Ausbau der Biomethan- und Wasserstoffproduktion. Insbesondere der Pfad beschleunigter Dekarbonisierung zeigt, wie mit grünen Gasen viel erreicht werden kann.
Die Pfade:
PFAD 1: AKTUELLE EU-KLIMA- UND ENERGIEPOLITIK ERMÖGLICHT NUR BEGRENZTEN AUSBAU ERNEUERBARER GASE
In diesem Szenario untersucht die Studie die Auswirkungen der bestehenden EU-Klima- und Energiepolitik und kommt zu dem Ergebnis, dass die aktuellen Maßnahmen nicht ausreichen, um eine kosteneffiziente und rechtzeitige Dekarbonisierung zu bewirken. Erneuerbare Gase spielen nur eine untergeordnete Rolle.
PFAD 2: BESCHLEUNIGTE DEKARBONISIERUNG DURCH ERNEUERBARE, DEKARBONISIERTE GASE
Angebot und Nachfrage nach Biomethan, grünem Strom und Wasserstoff werden durch Investitionen und Innovationen dank veränderter Rahmenbedingungen mit langfristiger Sicherheit vorangetrieben. Der EU Green Deal und die anstehende Gasmarktreform bieten mit den richtigen Anreizsystemen die Plattform, die ungenutzten Potenziale zu aktivieren. Auf diese Weise kann die Produktion von Biomethan und Wasserstoff massiv gesteigert – und damit schrittweise bis 2050 eine hundertprozentige Gasversorgung durch erneuerbare und dekarbonisierte Gase erreicht werden. Die Nutzung der Gasinfrastruktur wird zudem deutlich diversifiziert – stufenweise hin zu einem Methan- und dezidierten Wasserstoffnetz.
PFAD 3: GLOBALE KLIMAANSTRENGUNGEN: GROßE VORTEILE DURCH WELTWEITE BETEILIGUNG
Innerhalb dieses optimistischen Szenarios geht die Studie davon aus, dass die Welt dem Beispiel Europas folgt und ihre THG-Emissionen entsprechend des Pariser Übereinkommens reduziert. Das führe natürlich zu einer noch beschleunigteren Dekarbonisierung weltweit. Dabei sinken gleichzeitig die Kosten durch geringere Technologieinvestitionen und -innovationen.
Biomethan: Chancen & großes Potenzial bei der Dekarbonisierung
Bisher spielen Biomethan und Wasserstoff in der Gasinfrastruktur immer noch eine untergeordnete Rolle. Wasserstoff, insbesondere grüner, steckt noch in den Kinderschuhen. Und auch bei Biomethan geht noch mehr, wie die Studie zeigt:
- Der Großteil der derzeit ca. 170 TWh Biogas, die in der EU produziert werden, wird aktuell hauptsächlich in lokaler Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. Durch die Aufbereitung kann es dezentral und flexibel nutzbar gemacht werden. Die Studie aus 2019 ermittelte, dass bis 2050 eine Menge von 1.170 TWh an grünem Methan nachhaltig erzeugt werden kann, bestehend aus 1.020 TWh Biomethan und 150 TWh aus synthetischem Methan. Damit könnte mehr als der gesamte jährliche Gasverbrauch Deutschlands gedeckt werden (laut BDEW lag dieser 2019 bei 982 TWh).
- Bis 2050 kann Biomethan nicht nur ein erneuerbares, sondern durch die Erzeugung negativer Emissionen ein klimapositives Gas sein kann. Die Fähigkeit, negative Emissionen zu erzeugen, ist sehr wichtig, da unter Klimawissenschaftlern Konsens besteht, dass diese auch nach 2050 benötigt werden, um den globalen Temperaturanstieg unter 2°C zu halten.
- Daneben fördert Biomethan eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, da der Atmosphäre nicht mehr CO2 zugeführt als ihr durch Biomasseanbau entnommen wird.
- Biomethan kann zudem als Ausgangsstoff zur Herstellung von Wasserstoff verwendet werden.
Potenzialentfaltung: wie kann die Biomethanproduktion nachhaltig gesteigert werden?
Schon bis 2030 ist es möglich, die Erzeugung auf 370 TWh pro Jahr zu erhöhen. Dies kann erreicht werden durch:
- Umwidmung der 125 TWh Biogas, die aktuell zur lokalen Strom- und Wärmeerzeugung in BHKW dienen, und Aufbereitung zu Biomethan
- Bau von 6.000 neuen Fermentern mit einer durchschnittlichen Produktion von je 500 m3/h und 3.000 neue zentrale Biogasaufbereitungsanlagen, die jeweils Biogas aus zwei Fermentern in Biomethan umwandeln. Alle diese Anlagen produzieren insgesamt 160 TWh Biomethan.
- Bau von 500 neuen Biogasanlagen mit angeschlossenen Biomethananlagen, die jeweils 2.000 m3/h Biogas in Biomethan umwandeln und somit 53 TWh Biomethan erzeugen.
- Herstellung von Biogas nach dem Biogasdoneright-Modell durch 2.000 Landwirte und Produzenten, vor allem in Italien und Frankreich. Hierbei werden landwirtschaftliche Nebenprodukte als Ausgangsstoff verwendet, die nicht mit Nahrungs- und Futtermittelpflanzen konkurrieren.
- Errichtung von 21 200-MW-Anlagen, die zusammen 32 TWh Biomethan herstellen.
Energiesystemintegration zur Erreichung der Klimaziele
Die Studie empfiehlt sektorübergreifende politische Maßnahmen zur Aufnahme in den Europäischen Green Deal. Die Umsetzung der folgenden Punkte ermöglicht beschleunigte Emissionsreduktionen durch einen vermehrten Einsatz von Biomethan, sichert nachhaltig Arbeitsplätze in der EU und bringt ökonomische Vorteile mit sich:
- Anpassung des EU-Rechtsrahmens, um die Gasinfrastruktur als Schlüsselfaktor für eine kosteneffiziente und nachhaltige Dekarbonisierung der Wirtschaft Europas in einem integrierten Energiesystem zu nutzen.
- Eine verbindliche Quote von 10 % Gas aus erneuerbaren Quellen bis 2030
- Aufnahme der Förderung des grenzüberschreitenden Handels mit Wasserstoff und Biomethan im Green Deal, u.a. durch ein gut funktionierendes Herkunftsnachweissystem
- Schaffung von Nachfrageanreizen für Wasserstoff und Biomethan, z.B. durch die Stärkung und Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems (ETS) und einem einheitlichen CO2-Preis
Deutlich wurde in der Studie also, dass es weder nachhaltig noch ausreichend ist, eine erfolgreiche Energiewende auf einen einzelnen Energieträger zu stützen. Vielmehr sind die Nutzung verschiedener Energieträger und deren Verknüpfung notwendig. Biomethan ist mit der bestehenden Gasinfrastruktur, bewährter Technologie und hohem Produktionspotenzial in einem integrierten Energiesystem ein wichtiger Baustein, um Europa bis 2050 klimaneutral zu gestalten.
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Weiterführende Links
- Gas for Climate: 2020 Gas Decarbonisation Pathways study (April 2020)
- Gas for Climate: A path to 2050
- EBA: Binding target for renewable gas and future-proof gas infrastructure crucial to achieve cost efficient decarbonisation
- BDEW: Monatlicher Erdgasverbrauch in Deutschland (Februar 2020)
- BEsustainable: Italian Biogasdoneright® a replicable and exportable model (28.02.2017)
- Europäische Kommission: klima- und energiepolitischer Rahmen bis 2030