Wasserstoffstrategie: Import von grünen Gasen muss quellenneutral sein
Deutschland hat sich den Import grüner Energie auf die Fahne geschrieben. Eigentlich geht es dabei nur um Wasserstoff. Andere erneuerbare Gase, die schneller zum Klimaschutz beitragen können, werden in der Diskussion vermisst.
In der Energiewende setzt Deutschland alles auf eine Karte: grüner Wasserstoff. Wie die Bundesregierung ihre Wasserstoffstrategie angehen will, ist jedoch noch ungewiss. Aber: „Klar ist […]: Deutschland wird auch langfristig Energie importieren müssen“, sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schon Ende 2019 in einem FAZ-Gastbeitrag zum Thema Wasserstoff. Der Großteil des grünen Wasserstoffs wird laut Nationaler Wasserstoffstrategie von außerhalb der EU bezogen werden. Ab wann es dazu kommt und ab wann damit hierzulande ein tatsächlicher Klimaschutzeffekt eintritt, ist noch offen. Eine erste Allianz soll es mit Marokko geben: Die Absichtserklärung zum Bau einer 100-Megawatt-Elektrolyseanlage unterzeichneten Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und die marokkanische Botschafterin Zohour Alaoui Anfang Juni. Die Förderbank KfW will das Projekt mit 300 Millionen Euro finanzieren. Konkrete Pläne zur Errichtung stehen noch aus, derzeit ist man auf Standortsuche. Außerdem soll der Elektrolyseur zunächst ausschließlich für den marokkanischen Markt produzieren. Kapazitäten für den Export nach Deutschland sind erst in späteren Phasen vorgesehen. Also alles noch Zukunftsmusik.
Wer A sagt, muss auch B sagen. Import grüner Gase muss quellenneutral möglich sein
Der Import grünen Wasserstoffs ist derzeit DAS Trendthema in der deutschen Energiepolitik. Zeitgleich verschließt sich die deutsche Politik vor Importen anderer leitungsgebundener grüner Gase aus EU-Nachbarländern und damit kurzfristigen Klimaschutzeffekten. Aus nachhaltiger Biomasse erzeugtes Biomethan hat es zum Beispiel seit Jahren schwer: Die deutsche Verwaltungspraxis verbietet trotz entsprechender Forderungen aus der Branche und EuGH-Urteil, Biomethan über das europäische Gasnetz nach Deutschland zu importieren und zur Treibhausgas(THG-)Minderung im Verkehr einzusetzen. Anders als grüner Wasserstoff ist Biomethan ein bereits verfügbarer, bezahlbarer Brennstoff mit erprobter Technologie, der sofortige Dekarbonisierung leisten kann.
Von allen verfügbaren Biokraftstoffen kann mit Biomethan die mit Abstand höchste THG-Reduktion erzielt werden. Derzeit nutzen rund 100.000 Fahrzeuge in Deutschland Erdgas als Kraftstoff – würden diese komplett auf Biomethan umgestellt, könnten pro Jahr zusätzlich 1,5 Mio. Tonnen CO2eq-Emissionen eingespart werden. 100 % Biomethan an den deutschen CNG-Tankstellen wäre bis 2021 möglich – ohne Zusatzkosten für die Betreiber. Auch LNG-Tankstellen können auf verflüssigtes Biomethan umstellen und 100 % BioLNG vertanken. Der Absatz von Biomethan steigt bereits: Im Juni 2020 lag der Biomethananteil am CNG-Kraftstoff bei rund 75 %. Um das weitere Nachfragepotenzial zu decken und das THG-Minderungspotenzial auszuschöpfen, wäre kurzfristig der Import von Biomethan aus dem EU-Ausland erforderlich.
Für eine erfolgreiche Energiewende ist es unerlässlich, alle verfügbaren Optionen zur Treibhausgasminderung zu nutzen. Technologie- und Quellenneutralität, wie sie der Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSOG) definiert hat, muss dabei oberste Prioriät haben. Während die Weichen für den grenzüberschreitenden Handel von grünem Wasserstoff gestellt werden, muss das Gleiche für bewährte erneuerbare Energieträger wie Biomethan gelten.
Hintergrund: Importbeschränkung von Biomethan als kraftstoff
Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (RED) von 2009 gibt vor, dass jeder Mitgliedsstaat bis 2020 mindestens 10 % des Endenergieverbrauchs im Verkehrssektor aus erneuerbaren Quellen deckt. Gemäß der Neufassung (RED II), sind bis 2030 14 % vorgesehen – eine weitere Verschärfung des Ziels ist aktuell im Gespräch.
In Deutschland werden die EU-Richtlinien über das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) geregelt. Dafür hat die Bundesregierung Treibhausgasminderungsquoten (THG-Quoten) festgelegt: Unternehmen der Mineralölwirtschaft sind verpflichtet, die THG-Emissionen der von ihnen in Verkehr gebrachten Kraftstoffe zu reduzieren: seit 2020 um 6 %. Um dies zu erreichen, sollen anteilig Biokraftstoffe eingesetzt werden (Biokraftstoffquote).
Bereits 2012 ebnete die EU mit der Entscheidung, den Systemgeber REDcert als europaweites Zertifizierungssystem für nachhaltige Biomasse anzuerkennen, den Weg in Richtung eines einheitlichen europäischen Marktes für Biokraftstoffe. Der Import von Biomethan über das Gasnetz nach Deutschland ist derzeit jedoch eingeschränkt. Biomethan für die Nutzung im Kraftstoffsektor und damit für die Anrechnung auf die Biokraftstoffquote gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) einzuführen ist zwar zulässig, der Grenzübertritt nach Deutschland darf aber nicht über die Gasleitung erfolgen. Das stellt Biomethan vor ein Problem, denn: Biomethan – chemisch identisch mit Erdgas – wird, ebenso wie Erdgas selbst, ausschließlich über das Gasnetz transportiert. Während des Transports über das Netz wird es jederzeit von anerkannten EU-Nachhaltigkeitsnachweisen begleitet. Damit hält nach REDcert-EU oder ISCC zertifiziertes Biomethan, das vom EuGH geforderte Prinzip der Massenbilanzierung ein. Indem die Anrechnung von Biomethan, das über das Gasnetz transportiert wurde, im Kraftstoffmarkt nicht zugelassen ist, ist der Import für den Einsatzmarkt bislang faktisch nicht umsetzbar.
2017 urteilte der EuGH in einem schwedischen Fall, dass der Import von Biomethan über das Gasnetz grundsätzlich erlaubt sein muss. Einige Länder änderten daraufin ihre Importpraxis. Deutschland hat den Beschluss der höchsten EU-Richter bislang noch nicht umgesetzt.
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WEITERFÜHRENDE LINKS
- Handelsblatt: Warten auf die Wasserstoffstrategie – Berlin ist vom Ziel noch weit entfernt (04. August 2020)
- Peter Altmaier, FAZ: Wir müssen bei Wasserstoff die Nummer 1 werden! (05. November 2019)
- Deutschland schiebt Wasserstoff in Marokko an (11. Juni 2020)
- BMWi: Nationales Reformprogramm 2020 – Die Nationale Wasserstoffstrategie
- Tagesspiegel Background: Die Wasserstoffstrategie und das Lieferketten-Problem (03. Juli 2020)
- EuGH-Urteil C-549/15: E.ON Biofor Sverige AB gegen Statens energimyndighet (22. Juni 2017)
- ENTSOG: Ten-Year Network Development Plans (TYNDP) Scenario Report 2020
- Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (RED II)
- Dienstvorschrift des Zolls zur Überwachung der Einhaltung der Treibhausgasminderung (DV THG-Quote) (PDF-Download)
- Erneuerbare-Energien-Richtline (RED) der EU (2009)
- Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (BImSchG)
- Hauptzollamt Frankfurt (Order): Allgemeine Informationen zur Treibhausgasquote
- REDcert. Gesellschaft zur Zertifizierung nachhaltig erzeugter Biomasse e.V.